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Der DirigentAndrew Manze über den Doppelabend "Dido and Aeneas... Erwartung"im Nationaltheater


Der Dirigent Andrew Manze war früher Geiger in britischen Barockensembles. Seit 2014 leitet er die NDR Radiophilharmonie in Hannover, die er am Ende der laufenden Spielzeit verlässt.

Der Dirigent Andrew Manze war früher Geiger in britischen Barockensembles. Seit 2014 leitet er die NDR Radiophilharmonie in Hannover, die er am Ende der laufenden Spielzeit verlässt.

Von Robert Braunmüller

Am Sonntag bringt die Bayerische Staatsoper zwei Stücke zusammen, die auf den ersten Blick nicht wirklich zueinander passen: Henry Purcells Barockoper "Dido and Aeneas" aus dem Jahr 1698 und Arnold Schönbergs Monodram "Erwartung" von 1907. Ausrine Stundyte singt beide Hauptrollen, Krzysztof Warlikowski inszeniert, im Orchestergraben gibt Andrew Manze sein Debüt am Opernpult und in der Staatsoper.

AZ: Mr. Manze, gibt es irgendeine geheime musikalische Beziehung zwischen den Opern von Purcell und Schönberg?

ANDREW MANZE: Musikalisch nein, dramaturgisch sehr wohl. Eine verlassene, leidende Frau ist die Hauptfigur beider Opern. Davon abgesehen sind die Werke sehr gegensätzlich: Purcells Musik stammt aus der Barockzeit. Die Sänger dominieren, auch wenn es eine Ouvertüre und Tänze gibt. Das Monodram "Erwartung" wird dagegen in gewisser Weise vom Orchester beherrscht. Es stellt eine Frau dar, die jede Kontrolle über die auf sie einstürmenden Gedanken verloren hat.

In Schönbergs Monodram "Erwartung" irrt eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Geliebten verzweifelt durch den Wald. Das Stück bildet den zweiten Teil des von Krzysztof Warlikowski inszenierten Doppelabends "Dido and Aeneas... Erwartung" im Nationaltheater.

In Schönbergs Monodram "Erwartung" irrt eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Geliebten verzweifelt durch den Wald. Das Stück bildet den zweiten Teil des von Krzysztof Warlikowski inszenierten Doppelabends "Dido and Aeneas... Erwartung" im Nationaltheater.

Welches Stück kommt zuerst?

Purcells "Dido and Aeneas". Das Orchester ist klein besetzt, es besteht nur aus Streichern. Acht erste Violinen sind bei Purcell eine ganze Menge, für ein großes Opernhaus wie das Nationaltheater aber eher wenig. Schönbergs Orchester füllt den ganzen Orchestergraben. Den notwendigen Umbau vor "Erwartung" überbrückt ein elektronisches Stück von Pawel Mykietyn, das wie ein Rave klingt und mit dem der Regisseur Krzysztof Warlikowski auch szenisch eine Verbindung beider Werke herstellt.

Wird Purcell historisch informiert gespielt?

Manche glauben, dass man die klanglichen Möglichkeiten bei Alter Musik beschränken muss. Mir ging es um das Gegenteil: Sich zu öffnen und moderne Instrumente so klingen zu lassen, dass sie zu barocker Musik passen - auch aus dem Grund, weil Schönberg anschließend von den gleichen Musikern auf den gleichen Instrumenten gespielt wird.

Bei Purcell gibt es einige Lücken, die kreativ gefüllt werden müssen.

Wir wiederholen ein Stück, wodurch eine reizvolle barocke Bogenform entsteht. An einer anderen Stelle haben wir uns auf eine Baßlinie aus der Oper verständigt, über der die Continuospieler improvisieren. Das interessierte den Cellisten sehr: Daher darf er auch mitspielen.

Schönberg schreckt manche Besucher ab. Könnten Sie ihnen ihre Bedenken nehmen?

Vor einem Jahr wäre mir das womöglich noch schwerer gefallen. "Erwartung" ist kein einfaches Stück. Es gibt zwar aufblühende expressive Linien in der Musik, aber keine Melodie, die wiederholt wird und an die man sich beim Nachhauseweg erinnern würde. Auch andere Strukturen wiederholen sich nicht. Diese Sprunghaftigkeit der Musik macht die Musik schwierig. Sie ist allerdings dramaturgisch bestens begründet durch das ziellose, obsessive Irren der Frau.

Außerdem hat Schönberg die traditionelle Harmonik außer Kraft gesetzt.

Er geht von den extremsten Harmonien aus, die bei Wagner vorkommen. Das ist seine Grundlage. Es gelten - im Unterschied zum Autofahren - weder Regeln für den Rechtsverkehr noch für den Linksverkehr. Trotzdem ist nichts zufällig: Wenn man sich mit Schönbergs Musik intensiv beschäftigt, erkennt man, dass die freie Tonalität trotzdem organisiert ist, sie das Stück zusammenschweißt und für eine sehr dichte Atmosphäre sorgt. Ich vergleiche es mit einem ersten Besuch in einem indischen Restaurant: Der Geschmack befremdet erst, aber die fremden Gewürze wirken faszinierend, wenn man sich an sie gewöhnt.

Fällt Musikern Schönberg auch noch nach 100 Jahren schwer?

Schönberg hat Musik für zwei Stunden auf 30 Minuten verdichtet. Aber das Bayerische Staatsorchester entdeckt die Schönheit in jeder Musik. Gleiches gilt für die Sopranistin Ausrine Stundyte: Sie singt einerseits Schönbergs Liebeslieder und schreit im nächsten Moment vor Angst.

Haben Sie je zuvor eine Oper dirigiert? Ich konnte dazu nichts finden.

Ich habe konzertante Aufführungen dirigiert, aber nie in einem Opernhaus. Mir ist bewusst, dass das zwei sehr verschiedene Dinge sind: Für Konzerte probt man eine Woche oder weniger, für eine Opernpremiere fünf Wochen. Daneben gibt es jeden Abend die Vorstellung einer anderen Oper. Ein Haus wie die Bayerische Staatsoper ist ein faszinierender Mechanismus. Aber ich habe lange vorgezogen, diese Magie vom Zuschauerraum aus zu genießen.

Wie hat Sie Serge Dorny doch hierhergelockt?

Es gibt Spezialisten für Barockmusik und Spezialisten für Schönberg. Mich reizte die Idee der Kombination beider Werke, obwohl ich bisher wenig Schönberg dirigiert habe.

Gibt es einen Grund, wieso man beide Opern des Abends mehr im Konzert hört als in einem Theater?

Gute Barockmusik - und Purcells "Dido and Aeneas" ist ein Meisterwerk - steckt alle Informationen in die Musik. Man kann sie auch mit geschlossenen Augen hören und trotzdem verstehen was sich ereignet. Außerdem ist diese Oper für einen Abend zu kurz. Gleiches gilt auch für "Erwartung" und die Rolle des Orchesters. Insofern gibt es doch mehr Gemeinsamkeiten beider Werke, als es auf den ersten Blick scheint.

Premiere am Sonntag, 29. Januar, 17 Uhr. Auch am 1., 4., 8. und 10. Februar um 19 Uhr. Karten online und unter 2185 1920.