Kultur

Flächenbrand Expressionismus

Das Buchheim Museum in Bernried zeigt Holzschnitte aus der Sammlung Joseph Hierling


Max Westhäusers Holzschnitt "Volk an der Ruhr" (1919).

Max Westhäusers Holzschnitt "Volk an der Ruhr" (1919).

Von Joachim Goetz

Was macht ihn bloß so attraktiv, den "Holzschnitt des deutschen Expressionismus"? Den großen Namen dieser Zeit widmete man zahlreich exquisite spezielle Holzschnitt-Ausstellungen. Umfassende Präsentationen haben - wie man meinen könnte - alles zum Thema gezeigt, erklärt, gesagt. Da soll nun ausgerechnet im Bernrieder Buchheim Museum, das ja per definitionem den ganz illustren expressionistischen Kunstwerken die adäquate Heimstatt bietet, eine Holzschnittschau neue Erkenntnisse vermitteln? Kaum zu glauben.

Tatsächlich aber wird unter dem Titel "Flächenbrand Expressionismus" ein sehenswertes und weitgehend unbekanntes Kapitel dieses bedeutenden deutschen Beitrags zur Kunst der klassischen Moderne aufgeschlagen. Gezeigt werden nur ganz wenige Blätter von Heckel, Kirchner, Kandinsky oder anderen bekannten Heroen von Brücke und Blauer Reiter.

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Der aquarellierte Linolschnitt "Frühling" (1920) von Emil Maetzel.

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Evarist Adam Webers Holzschnitt "Liebespaar" (1920)

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Das Museum in Bernried am Starnberger See

Hingegen wecken rund 200 Werke von gut 100 fast durchwegs unbekannten Namen das Interesse des Besuchers. Die keineswegs zweitklassig anmutenden Arbeiten unterstreichen zum einen, wie weit verbreitet diese expressionistische Kunst-Methode war - daher der Titel "Flächenbrand". Das hatte die Kunstgeschichte nach Auffassung der Kuratoren bislang nicht ausreichend gewürdigt.

Zum anderen wird auch das hohe Niveau der Stücke in der Masse veranschaulicht.
Und die thematische Bandbreite zeigt, dass der Holzschnitt sozusagen das ganze Leben abbildete. Die einzelnen Kapitel widmen sich vom "Städtischen Leben" über "Biblische Szenen", "Mutter und Kind" oder "Liebespaare" bis hin zu "Zirkus, Café, Varieté" oder "Gesellschaftskritik". Nicht fehlen dürfen "Mensch und Natur", "Stadt, Hafen, Industrie" oder "Wege zur Abstraktion". Gewusst hatte man das alles eigentlich - aber kaum einmal anhand ausreichend vieler Beispiele gesehen. Möglich macht das nun die Sammlung Joseph Hierling, aus welcher die knapp 200 Exponate stammen. Hierling fühlt sich der sogenannten Verlorenen Generation verpflichtet und sagt: "Mein Herz hat immer für die vielen Künstler und Künstlerinnen der in den 1920er Jahren aufblühenden zweiten Generation des Expressionismus geschlagen". Nach dieser emotional gereiften Erkenntnis verkaufte er die Blätter seiner Klassiker und wandte sich diesen Unbekannten - sozusagen von Achmann bis Zachmann zu. Günstiger waren deren Werke ohnehin - und qualitativ können sie mithalten.

Zu entdecken sind maskenhafte Gesichter, tanzende Häuser, dynamische Menschenmengen. Bizarre Deformationen, gesteigerte Hell- Dunkel-Kontrast, intensive Farbwirkungen und mythische Naturszenen ziehen uns in Bann. Von Fritz Schäfer werden grotesk zersplitterte Porträts gezeigt, von Karl Peter Röhl ausdrucksstark verzerrte Leiber, von Hans Brass oder Hans Bolz beunruhigend stürzende Stadtansichten. Das ganze expressionistische Programm sozusagen - nur eben nicht von den gefeierten Helden.

Der Holzschnitt dieser Zeit war aber nicht nur ein beliebtes künstlerisches Medium. Man könnte ihn vielmehr mit einigen unserer heutigen druckgrafischen Erzeugnissen vergleichen. Vielleicht nicht gerade mit Werbe-Foldern und einfachen Info-Materialien. Aber für die weite Verbreitung und Popularität des expressionistischen Stils sorgte explizit der Holzschnitt. Weil er neben Zeichnung, Lithografie, Radierung eine wichtige Rolle in den damaligen Printmedien spielte - und so zum Markenzeichen und schon damals auch zum Sammelobjekt wurde.

Häufig wurden sogar Original-Holzschnitte in Periodika eingesetzt. Denn Druckstöcke konnten technisch problemlos in den Satz der Druckseite integriert werden. Nicht ohne Stolz fügten die beteiligten Künstler und Verleger ihren Print-Erzeugnissen die Bezeichnung "Originalholzschnitt" hinzu. Heute macht sie das freilich umso wertvoller.

Und die Ausstellung macht einmal mehr deutlich, dass es den Künstlern um eine unmittelbar ansprechende Formensprache, provozierende Kontraste und heftige Kompositionen gebrochener Bildwelten ging. Sehnsucht nach Harmonie mitunter inklusive.

Bis 14.5.2023, Öffnungszeiten: April - Oktober: 10-18 Uhr; November - März: 10-17 Uhr; Dienstag - Sonntag & Feiertage, Katalog 24 Euro