AZ-Filmkritik

"Green Book": Im weißen Smoking aufs Plumpsklo


Der Proll und der Snob: Tony (Viggo Mortensen) will seiner Frau Briefe in die Bronx schicken und Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) hilft ihm, romantisch zu sein und nicht nur über Hamburger zu schreiben. Immerhin ist das Drive-In-Lokal eines, in dass sie den schwarzen Jazz-Star lassen.

Der Proll und der Snob: Tony (Viggo Mortensen) will seiner Frau Briefe in die Bronx schicken und Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) hilft ihm, romantisch zu sein und nicht nur über Hamburger zu schreiben. Immerhin ist das Drive-In-Lokal eines, in dass sie den schwarzen Jazz-Star lassen.

Von Bernhard Lackner

"Green Book" erzählt, wie 1962 auf einem Südstaatentrip ein schwarzer Snob und ein prolliger Weißer "ziemlich beste Freunde" werden.

Wer auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten in Hollywood Mut zur Hässlichkeit beweist, erhöht seine Oscar-Chancen - wie Nicole Kidman mit großer Nase ("The Hours") oder Charlize Theron ("Monsters").

Viggo Mortensen hat sich - gegen den Rat seiner Ärzte - für seine Rolle als Mann fürs Grobe aus der Bronx 30 Pfund angefuttert. Denn wir sind im Jahre 1962, und da konnte man als Rausschmeißer im "Copacabana Club" der Upper East Side durchaus noch was auf den Rippen haben. Blöd nur, wenn Tony - wegen seiner Fähigkeit, sich aus brenzlichen Situationen herauszureden "Lip" genannt- naiv ahnungslos ausgerechnet den Undercover-Mafia-Besitzer raussemmelt - und dieser Frank Costello den Laden daraufhin "wegen Renovierung" dicht macht.

Ein wunderbarer tragikomischer Auftakt. Und wir erleben Tony, wie er - jetzt arbeitslos - beim Nach-Hause-Weg schnell noch einen spontanen Burger-Fresswettbewewerb anzettelt - und gewinnt. So kommt er nicht mit leeren Händen, sondern mit 50 Dollar nach Hause in die Bronx zu seiner Frau, die gerade nett zwei schwarze Handwerker verabschiedet und ihnen - es ist ein heißer Sommer - zwei Cola angeboten hat. Tony wird die Gläser aus der Spüle mit spitzen Fingern in den Mülleimer werfen: Was ein "Neger" in der Hand hatte, will er nicht mehr in die Hand nehmen müssen.

In "Green Book" werden die Klischees umgekehrt

Nach diesen zehn Minuten ist die Ausgangslage schonungslos skizziert. Und dann wendet Regisseur Peter Farrelly ein klassisches Muster an: Er schickt Tony, der dringend einen neuen Job braucht, als Chauffeur ausgerechnet mit einem Schwarzen auf eine große Fahrt durch die rassistischen Südstaaten, was sie in diesem Road-Movie - was man mehr als ahnt - zu "ziemlich besten Freunden" macht. Denn Menschen verändern ihre Vorurteilen vor allem dann, wenn sie denen begegnen, die sie immer verachtet haben.

In "Green Book" ist das besonders elegant durchgespielt, in dem die Klischeerollen auch noch umgedreht wurden: der kultivierte Schwarze und der prollige Weiße. Denn Dr. Don Shirley ( Mahershala Ali) ist ein klassischer Pianist, der am Leningrader Konservatorium ein Stipendium hatte und jetzt, weil sein Label sagt, dass Weiße von Schwarzen nur Jazz hören wollen, eben intellektuellen Jazz spielt. Es sind die liberalen Kennedy-Jahre. Und so schöpft Shirley Hoffnung, seine Tournee könnte auch die Antirassismusbotschaft weiterbringen - ein masochistischer Fehler.

"Green Book" gelingt die Balance zwischen Aufklärung und Unterhaltung

Er begibt sich also mit dem Working-Class-Proll in der Zwangsgemeinschaft des Straßenkreuzers in eine Gegend, die alles zuspitzt: in den rassistischen Süden der USA, wo Shirley als der Boss in schäbigen Absteigen nächtigen muss, die das "Green Book - The Negro's Traverlers Guide" erlaubt, während Tony in den besseren Weißen-Hotels schläft. In einer grotesken Szene wird Don Shirley nach einem Privatkonzert in einem weißen Herrenhaus von den reichen Gästen beklatscht - und dann zum "Austreten" auf das Plumpsklo im Hintergarten geschickt.

Es hätte alles also eine bittere Tragödie werden können, wie man sie oft als Betroffenheits- und Empörungsgeschichte vorgesetzt bekommt. Aber Peter Farrelly macht etwas Anderes, ohne berechtigte Betroffenheit und Empörung beim Zuschauer auszublenden. Denn über aller Tragik liegt eine Brise Witz und Leichtigkeit, weil wir uns mit den beiden uns als Zuschauer fremden und zwiespältigen Figuren immer mehr versöhnen - und sie sich miteinander. So ist "Green Book" vor allem ein Film der Hoffnung und der Freundschaft, man könnte auch sagen der Menschenliebe und Versöhnung, ohne zu beschönigen. "Green Book" ist eines der raren Meisterwerke aus Aufklärung und Unterhaltung geworden.

Viggo Mortensen hat sich die 30 Pfund schon wieder runtergeschafft und ist - zu Recht - Oscar- nominiert. Und Mahershala Ali ebenfalls, wie auch Peter Farrelly (Regie und Drehbuch).

Kino: Sendlinger Tor, Rex, Astor Lounge im Arri, Solln, Leopold Cinemaxx sowie Atelier, Rio, Monopol (auch OmU) sowie Gloria, Mathäser (auch OV), Cinema (OV) R: Peter Farrelly (USA, 131 Min.)